Festivalisierung mal anders?
2024 feiern 23 Gemeinden des Salzkammerguts den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt. Als Strategie der kulturellen Regionalentwicklung wird damit ein Prozess der Festivalisierung bedient – und bietet möglicherweise Potenzial, diesen Prozess gleichzeitig zu hinterfragen.
Seit der Benennung durch die Geographen Häusermann und Siebel[1] ist das Schlagwort der Festivalisierung omnipräsent. Zusammengefasst beschreibt der Begriff eine (Stadt-)Politik auf Basis von Großereignissen. Nicht nur das Bespielen von öffentlichen Räumen durch Events, Festivals und Feierlichkeiten ist hierbei charakterisierend; Festivalisierungsprozesse greifen weiter, indem politische Entscheidungsprozesse in Hinblick auf „Scheinwerfer-Momente“ gelenkt, beziehungsweise danach orientiert werden. Unabhängig davon, ob von einem globalen Mega-Event wie den Olympischen Spielen oder einem lokal-spezifischen Veranstaltungsformat wie einer Landesschau gesprochen wird: Die damit einhergehenden Festivalisierungstendenzen beeinflussen politische Entscheidungsprozesse. Veranstaltungsbezogene mediale, gesellschaftliche und diplomatische Aufmerksamkeiten werden zum politischen Motor und treiben mitunter Bauprojekte, Kooperationsunterstützungen oder auch Förderbedingungen voran.
Während der Druck und die Beschleunigung von Entscheidungen oftmals als eine Notwendigkeit beschrieben werden, um kunst- und kulturpolitische Fragestellungen zu klären, werden nachhaltige Wirkungen und die Fairness solcher Instrumentalisierung von Events tiefgreifend hinterfragt.
In seiner über 35-jährigen Existenz hat das Programm der Europäischen Kulturhauptstadt sich als ein Synonym für event-basierte Regenerationsentwicklungen und damit zusammenhängender Festivalisierungspolitik etabliert.[2] Hierbei können die Vorzüge sowie auch Schattenseiten eines solchen Vorgehens vielseitig diskutiert werden. Während der Druck und die Beschleunigung von Entscheidungen oftmals als eine Notwendigkeit beschrieben werden, um kunst- und kulturpolitische Fragestellungen zuklären, werden nachhaltige Wirkungen und die Fairness solcher Instrumentalisierung von Events tiefgreifend hinterfragt. In westlichen Kontexten werden bei Mega- und Giga-Events wie den Olympischen Spielen Kritiken und Resistenzen zunehmend laut; jedoch erzielen kleinere Veranstaltungen wie beispielsweise das Format der Europäischen Kulturhauptstadt weiterhin Rekorde in den Bewerbungszahlen. Während die finanziellen Parameter solcher lokaler Veranstaltungen sich klarerweise in einem reduzierteren Rahmen halten, sind jedoch die Festivalisierungsprozesse in diesen Eventformaten gleichermaßen wirksam. Politische Entscheidungen werden in Bezug auf die veranstaltungs- spezifische Konzentration von Raum und Zeit gelegt und somit eine politische Landschaft von (Groß-)Ereignissen beeinflusst, bestimmt und gegebenenfalls auch gestaltet.
In der eingangs beschriebenen Relation des städtischen Titels der Europäischen Kulturhauptstadt mit der regionalen Austragung im Salzkammergut für das Jahr 2024 spiegelt sich eine interessante Dynamik wider, welche Potenziale birgt, klassische Festivalisierungsprozesse herauszufordern. Während das wissenschaftliche Konzept und diesbezügliche Beobachtungen sich insbesondere auf städtische Kontexte beziehen, eröffnet das Salzkammergut als Europäische Kulturhauptstadt-Region die Perspektive auf Festivalisierung im Kontext der Regionalentwicklung.
Medial kontinuierlich als die erste inneralpine Kulturhauptstadtregion betitelt, präsentiert sich das Projekt als bewusst anders. Es wird nicht von einer Veranstaltung, sondern von einem Prozess gesprochen. Festivalisierungstendenzen, wie die Beschleunigung von politischen Entscheidungen, werden in der Vorbereitungsphase von Mitarbeiter*innen des Teams zwar wahrgenommen und kommentiert, sind jedoch nicht der ausschlaggebende Punkt, welcher hinter der Bewerbung steht. Hierbei steht das Projekt Salzkammergut 2024 nicht alleine da.
Seit einigen Jahren bereits stellen sich Titelträgerinnen in ihren Kulturhauptstadt-Projekten der Herausforderung, die einhergehende Festivalierungstendenz des Veranstaltungsprogramms durch ein Umdenken herauszufordern. Festivalisierungslogiken werden dabei genutzt, um auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit, wie beispielsweise in Derry-Londonderry, der UK City of Culture 2013, oder auch soziokulturelle Wertediskurse, wie im Fall von Donostia-San Sebastián der Europäischen Kulturhauptstadt 2016, einzugehen. Dementsprechend wird die Festivalisierung von Stadt- und Regionalpolitik vermehrt auch als Plattform für Verhandlungen von Identitäten, Beziehungen und Werten verwendet.
Die Jury begründete ihre Entscheidung für das Projekt Salzkammergut 2024 mit der möglichen Vorbildfunktion, die von einer Europäischen Kulturhauptstadt-Region im ruralen Kontext ausgeht. Allerdings kann über solche regionale und rurale Aspekte hinaus das Projekt Salzkammergut 2024 in Fragen der Festivalisierungsprozesse als interessanter Nährboden verstanden werden, welcher bewusst diese Dynamik von Veranstaltungen herausfordert und stattdessen die grundsätzliche Prozesshaftigkeit von Veränderungsbestrebungen zu verhandeln versucht.
Barbara Grabher ist Lecturer an der Universität von Brighton (GB) und beforscht Event-basierte Regenerationsprozesse aus der Sicht der Kritischen Eventforschung.
1 Häusermann, H., Siebel, W. (1993). Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte. Springer.
2 Bianchini, F., Albano, R., Bollo, A. (2013).
The regenerative impacts of European City and Capital of Culture events. In M. Leary & J. McCarthy (Eds.), Companion to urban regeneration (S. 515 – 526). Routledge.
Dieser Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1.23 „LAND KULTUR ARBEIT“ des Magazins der IG Kultur Österreich – Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
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Coverbild: Daniela Holzer